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Die Herausforderungen im Bereich der Altenpflege sind heute allgegenwärtig. Die steigende Zahl pflegebedürftiger Menschen und die zunehmenden Schwierigkeiten bei der vollständigen pflegerischen Versorgung durch Angehörige stellen eine wachsende Belastung dar. Insbesondere kostenseitig unterscheiden sich die verschiedenen Versorgungsmodelle enorm. So stehen die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen vor der großen Entscheidung, welche Versorgungsform sie benötigen und vor allem, welche sie sich leisten können. Das Pflegekonzept „Stambulant“ strebt danach, die Vorzüge der stationären und ambulanten Pflege miteinander zu verbinden. Doch stellt sich die Frage: Kann ein drittes Versorgungskonzept tatsächlich zur Verbesserung des Pflegesystems in Deutschland beitragen?
Anstieg der Pflegebedürftigkeit 2011 – 2050 [1]
Ambulante vs. Stationäre Pflege
Generell gilt: ambulant vor stationär. Während bei einer stationären Einrichtung die Pflegeheime direkt mit den Pflegeversicherungen abrechnen und diese zusätzlich den EEE (Einrichtungseinheitlichen Eigenanteil) von im Schnitt 1.010,21 Euro/Monat[2] bezahlen müssen, erhalten die Pflegebedürftigen, die die ambulante Versorgung in Anspruch nehmen teils das Pflegegeld ausgezahlt. Dieses Geld wird nicht selten als Nebenverdienst der Enkelkinder genutzt. Es kommt folglich zu einem Nachfragerückgang der Pflegeleistungen, wodurch eine professionelle und qualitative Versorgung oft nicht gewährleistet ist. Der Schritt ins Pflegeheim wird jedoch oft gemieden, nicht zuletzt aufgrund des hohen EEE.
Neubauten, Schließungen und Bautätigkeit [3]
Das „Stambulant“ – Konzept
Am 20. März 2024 kündigte Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Lauterbach ein neues Versorgungskonzept an. Er bezieht sich hierbei auf die BeneVit Gruppe mit ihrem innovativem Pflegekonzept „Stambulant“ – ein Versorgungsmodell, das die Vorteile stationärer und ambulanter Pflege vereint. In einer Art Wohngemeinschaft leben hier 56 Bewohner aller Pflegegrade in kleinen Hausgemeinschaften. Rund um die Uhr stehen Pflegekräfte für ausgewählte Leistungen und die Organisation der Pflege zur Verfügung. Der Personalschlüssel für Fachpflegekräfte ist bei diesem Konzept geringer als in traditionellen Pflegeheimen, jedoch gibt es mehr Betreuungs- und Hauswirtschaftskräfte. Dies führt zu niedrigeren Kosten für Pflege- und Krankenkassen sowie einem geringeren Eigenanteil für die Pflegebedürftigen. Seit 2016 zeigen wissenschaftliche Evaluationen, dass das Konzept „Stambulant“ trotz eines geringeren Personalschlüssels zu einer verbesserten und überprüfbar gesicherten pflegerischen Versorgungsqualität führt. Offen bleibt die Finanzierungweise dieses Modellprojektes. Betreutes Wohnen als Zusatzangebot in der ambulanten Pflege ist heute keine Seltenheit mehr. Die Unternehmensgruppe PflegeButler aus Ostfriesland hat ihre gesamte Unternehmung darauf ausgerichtet (siehe Webinar 2: „Chancen der Ambulantisierung“ am 06.06.2024).[4] Stambulant soll sich als dritter Sektor davon abgrenzen, doch erfolgt die Finanzierung analog eines Pflegeheimes oder der ambulanten Versorgung? Gesundheitsökonom Rothgang fürchtet eine große Zahl an Abgrenzungsproblemen, die unter anderem mit Blick auf die Vergütung von Leistungen eine Flut juristischer Streitfälle auslösen könnten, ähnlich wie sie nun schon in teilstationären Tagespflegen und betreuten Wohnformen geführt werden.[5]
Notwendige Reform im Pflegesystem
Es stellt sich die Frage, ob die Aufnahme eines weiteren Pflegekonzeptes in die Pflegereform die Lösung der Probleme ist. Prof. Dr. Lauterbach ist davon überzeugt, dass es einer dritten Säule bedarf. Jedoch muss betont werden, dass das Pflegesystem in Deutschland nicht aufgrund eines fehlenden Konzeptes kurz vor dem Kollaps steht. Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass der bürokratische Aufwand und die Frage nach staatlichen Fördermaßnahmen bzw. der Refinanzierung zu den größten Hindernissen einer erfolgreichen und optimalen pflegerischen Versorgung gehören. Ein deutlich geringerer Prozentsatz der Befragten sieht den Bedarf an weiteren, neuen Versorgungsformen.
Umfrage: Sofortmaßnahmen zur Erleichterung des Pflegebetriebs [6]
Fazit und Ausblick
Die Herausforderungen im Bereich der Altenpflege sind vielfältig und komplex. Während innovative Modelle wie das „Stambulant“–Konzept der BeneVit Gruppe vielversprechende Ansätze bieten, liegt die Lösung in einer umfassenden, zeitnahen Reform des Pflegesystems. Es ist entscheidend, die bürokratischen Hürden zu reduzieren und eine einheitliche Finanzierung sicherzustellen, die es Pflegebedürftigen ermöglicht, flexibel und bedarfsgerecht zwischen verschiedenen Pflegemodellen zu wählen. Ein solches reformiertes System würde nicht nur die Qualität der Pflege verbessern, sondern auch die Belastung für Angehörige und Pflegekräfte verringern. Eine engere Zusammenarbeit zwischen ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen könnte Ressourcen effizienter nutzen und sicherstellen, dass jeder Pflegebedürftige die bestmögliche Versorgung erhält, unabhängig von den eigenen finanziellen Möglichkeiten.
Es liegt nun an Politik und Gesellschaft, diese notwendigen Veränderungen anzugehen. Nur durch eine gemeinschaftliche Anstrengung können wir sicherstellen, dass die Pflege in Deutschland den zukünftigen Herausforderungen gewachsen ist und Pflegebedürftige ein würdiges und selbstbestimmtes Leben führen können.
Über die Autorin
Kristina Schröder
Durch meine vorangegangene Tätigkeit als Geschäftsführerin eines sektorübergreifenden Pflegebetreibers und mehr als sieben Jahre Erfahrung im Pflegesektor verfüge ich über umfassende praktische Einblicke, die es mir ermöglichen, Entwicklungen im Pflegemarkt praxisnah und fundiert für Sie zu analysieren und einzuordnen.
Quellenverzeichnis
[1]Quelle: pm pflegemarkt.com (2023): Entwicklung der Pflegebedürftigen in Deutschland zeigt riesigen Investitionsstau in der stationären Pflege, https://www.pflegemarkt.com/fachartikel/entwicklung-pflegebeduerftigen-deutschland/#:~:text=Nach%20Angaben%20der%20Pflegevorausberechnung%20des,im%20Jahr%202055%20ansteigen%20wird, zuletzt zugegriffen am 18.06.2024.
[2]Quelle: pm pflegemarkt.com (2017): Der einrichtungseinheitliche Eigenanteil in der Übersicht, https://www.pflegemarkt.com/fachartikel/analyse-einrichtungseinheitliche-eigenanteil/, zuletzt zugegriffen am 18.06.2024.
[3]Quelle: pm pflegemarkt.com (2023): Insolvenzen, Einbruch der Neubauten, starker Anstieg der Sozialhilfe in der Pflege – Stimmen aus der Branche, https://www.pflegemarkt.com/fachartikel/branchenstimmen-dramatische-situation-pflege/, zuletzt zugegriffen am 18.06.2024.
[4]Quelle: Sehner Unternehmensberatung GmbH (2024): Pflege im Wandel 2.0: Chancen der Ambulantisierung – Das PflegeButler®-Modell als Erfolgskonzept, https://www.sehner-unternehmensberatung.de/chancen-der-ambulantisierung-das-pflegebutler-modell-als-erfolgskonzept/.
[5]Quelle: Altenheim – Lösungen fürs Management (2024): „Stambulante“ Pflege stößt auf Bedenken und auf Zustimmung, https://www.altenheim.net/stambulante-pflege-stoesst-auf-bedenken-und-auf-zustimmung/, zuletzt zugegriffen am 18.06.2024.
[6]Quelle: pm pflegemarkt.com (2023): Insolvenzen, Einbruch der Neubauten, starker Anstieg der Sozialhilfe in der Pflege – Stimmen aus der Branche, https://www.pflegemarkt.com/fachartikel/branchenstimmen-dramatische-situation-pflege/, zuletzt zugegriffen am 18.06.2024.
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Team Pflege & Betreuung